Buchvorstellung

Die Kunst, nicht aneinander vorbeizureden

von Malcolm Gladwell

Inhalt

Die Kunst, nicht aneinander vorbeizuredenMalcolm Gladwell vertritt die These, dass wir viel schlechter darin sind, Fremde zu verstehen, als wir das gerne glauben wollen. Er beginnt das Buch mit dem Beispiel einer polizeilichen Verkehrskontrolle in den USA, die scheinbar ohne ersichtlichen Grund eskaliert.

Die angehaltene Dame wird letztlich in Haft genommen und nimmt sich drei Tage später das Leben. Die Frage, was denn da schiefgelaufen ist, will Gladwell mit diesem Buch klären.

Da er grundsätzlich drei grundsätzliche Schwierigkeiten im Verstehen anderer Leute sieht, ist das Buch in einer Dreiteilung strukturiert.

Im ersten Teil zeigt er anhand einiger prominenter Beispiele, dass wir uns im Umgang mit fremden Menschen in der Regel im „Wahrheitsmodus“ befinden. Damit meint er, dass wir grundsätzlich davon ausgehen, dass unser Gegenüber die Wahrheit sagt. Misstrauisch werden die meisten erst, wenn sie an die Aufrichtigkeit des anderen wirklich nicht mehr glauben können, wenn sie wirklich keine unschuldige Erklärung mehr finden. Das betrifft nicht Menschen wie dich und mich – Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Agenten sind davon genauso betroffen.

Wir glauben, dass wir den anderen „durschauen“ können, ist die zweite Schwierigkeit im Umgang mit Fremden. Diesem Thema widmet sich Gladwell im zweiten Teil. Und tatsächlich können wir fremde Menschen gut lesen, wenn sie sich so verhalten, wie wir das erwarten. Es gibt aber viele Menschen, die sich untypisch verhalten. Wenn aber jemand bei einer Befragung durch die Polizei nervös ist, heißt das nicht auch gleich, dass diese Person auch etwas zu verbergen hat. Auch in diesem Abschnitt arbeitet Gladwell mit vielen promimenten und plakativen Beispielen.

Die dritte Herausforderung besteht darin, dass unser Verhalten auch immer vom aktuellen Kontext abhängig ist. Was hat der Fremde gerade vorher erlebt? Wo fühlt er sich wohl, wo nicht? So wurden Statistiken bestimmte Bereiche in Städten identifiziert, in denen besonders viel Kriminalität stattfand. Als die Polizei gezielt in diesen kleinen Bereichen arbeitete, wanderte die Kriminalität nicht ab, sie wurde weniger. Die Kriminellen waren in genau diesem Stadtviertel kriminell, in anderen verhielten sie sich offensichtlich unauffällig.

Diese drei Stränge führt Gladwell dann am Schluss in dem Fall der eskalierten Verkehrskontrolle zusammen. Wie nicht anders zu erwarten, wurden hier Fehler in allen drei Dimensionen gemacht. Fehler, die wir möglichst vermeiden sollten, um die Anzahl unnötiger Opfer in Zukunft zu reduzieren.

Impulse

Drei zentrale Gründe hat Gladwell für sich gefunden, warum es zwischen Menschen immer wieder zu folgenschweren Missverständnissen kommt. Diesen kann man als Impulsen eigentlich nicht ausweichen:

  • Wir gehen davon aus, dass die anderen die Wahrheit sagen.
    Das ist in den meisten Fällen auch richtig und damit im Alltag sehr hilfreich. Einen freundlich dreinblickenden Betrüger erkennen wir allerdings nicht, weil wir vom Grundsetting her einfach nicht misstrauisch genug sind.
  • Wir glauben, andere seien durchschaubar, wir könnten sie „lesen“.
    Leider gibt es aber immer Leute, die sich anders verhalten, als wir das erwarten. Es gab genug Untersuchungen, die nachweisen, dass auch Richter oder Polizisten Lügner nicht als solche erkennen, wenn sie sich anders verhalten, als es bei uns üblich ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Lügner das absichtlich tun oder nicht.
  • Das Verhalten von Menschen hängt immer auch vom Kontext ab.
    Wo befindet sich jemand? Wie einfach ist eine bestimmte Handlung gerade? Was hat die Person gerade erlebt? Diese und viele weitere Faktoren beeinflussen Menschen, die wir treffen. Schon die ersten beiden Faktoren machen es uns gewissermaßen unmöglich, Fremde zuverlässig einzuschätzen. Vor dem Hintergrund des uns unbekannten Kontextes wird es noch viel komplexer.

Da sich Gladwell viel mit dem Verhalten von Menschen befasst und er viele Beispiele von Verbrechen und Gerichtsverhandlungen bringt, geht er auch noch auf ein weiteres Thema ein:

  • Alkohol enthemmt uns nicht, er macht uns „kurzsichtig“.
    Dabei ist kurzsichtig nicht auf die physiologischen Eigenschaften unserer Augen bezogen, sondern auf die Abwägung von Konsequenzen aus unserem Handeln. Der Alkoholisierte ist rein im Hier und Jetzt, ihm geht es um sofortige Bedürfnisbefriedigung. Es wägt nicht die Konsequenzen ab. Diese Abwägungen, die wir sonst anhand unseres Wertesystems durchführen, stellen einen wesentlichen Teil unserer Persönlichkeit dar. Es ist gewissermaßen das Engelchen, das auf der anderen Schulter sitzt als das Teufelchen. Und mit Alkohol machen wir das Engelchen mundtot und geben gewissermaßen diesen Teil unserer Persönlichkeit zeitweise auf.

Bewertung und Kommentar

Die Kunst, nicht aneinander vorbeizureden (Rückseite)Dieses Buch hat mich wirklich noch einmal fasziniert. Die Beispiele, die Gladwell bringt, kommen zum Großteil aus der Welt des Verbrechens. Vieles davon finde erschreckend oder frustrierend zu lesen. Gleichzeitig ist das Buch sehr flüssig und an vielen Stellen richtig spannend geschrieben. Die verschiedenen Beispiele bringt er oft miteinander in Verbindung, oft kommt er später noch einmal auf sie zurück.

Ich finde das Buch sehr gut geschrieben und konnte es nicht gut beiseite legen.

Die Impulse, die Gladwell setzt, mögen mir nicht alle gefallen. Gerne würde ich weiterhin von meiner guten, ja fast unfehlbaren, Menschenkenntnis überzeugt sein. Das fällt mir nach der Lektüre allerdings schwer. Und genau das ist sicher eine wertvolle Lektion: Vertrau nicht so sehr auf dein Bild vom Gegenüber, du kannst ihn nicht lesen. Oder wie man in meiner alten Heimat sagt: „Du kaasd dem ned in’n Kopp kucken!“

 

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